«Ein Huhn namens Natalia hatte beschlossen, einen Roman zu schreiben, aber ihm fielen weder die Handlung, noch die Personen, noch der Titel, noch der Schreibstil ein» (1)

Die Aufregung war gross im Hühnerhof, denn man hatte viel Gutes erhofft von der Geschichte: soziale und spirituelle Weiterentwicklung, Zufriedenheit und ein erfülltes Leben, jetzt, endlich, und dies für alle.
Das inspirierte Huhn hätte gerne weitergeholfen, doch seit der Begegnung mit dem statistisch verwirrten Huhn gab es sich mathematisch verschlossen und hielt den Schnabel im Quadrat.
Das grossmütterliche Huhn empfahl, sämtliche im Hof liegenden Blätter aufzulesen, ein Blätter-Moussaka zuzubereiten und es als unbeschriebene Gabe dem Huhn mit den frischesten Federn anzubieten. Das habe früher immer geholfen, eigentlich bei allem.
Darauf verkündete das Huhn, das sehr ungenau zuhörte, ein Huhn namens Mustikka schreibe gerade Geschichte. Weil das niemand glaubte, erzählte es von da an alles zweimal, worauf das für Missverständnisse anfällige Huhn meinte, zwei Hühner namens Natalia und Mustikka seien Co-Autorinnen einer wissenschaftlichen Abhandlung, die demnächst publiziert werden sollte.
Als das prophetisch veranlagte Huhn davon hörte, versprach es dem etwas müden Huhn nichts Geringeres als die Wende – wovon, wofür und wozu sei allerdings noch nicht klar.
Dies bewog das missionarische Huhn dazu, mit dem aufklärerischen Huhn eine unheilige Allianz einzugehen und es schickte ihm umgehend einen Link.
Das Huhn, welches jedem Licht misstraute, sobald es Schatten auf sein Weltbild zu werfen drohte, forderte, der Link müsse mit sofortiger Wirkung ordentlich gedimmt oder, je nach Neigung des Schattenwurfs, neu verlinkt werden.
Das hartnäckige Huhn beharrte darauf, dass jedes Phänomen immer von allen Seiten zu beleuchten sei, so auch dieser Link. Also schleppte es sämtliche Scheinwerfer, die es im Vorrat hatte, ins Zentrum des Hühnerhofs und bat das Reserve-Huhn, sich neben die zentrale Steckdose zu setzen und dafür zu sorgen, dass die Stromversorgung gewährleistet blieb.
Das weltfremde Huhn mit Hang zur Indiskretion fragte laut, so dass alle Hühner seine Frage hören konnten, ob es sich um den Link www.sonatasecrets.com handle, worauf zwischen den beiden Hühnern, die Klavier spielten, eine Diskussion darüber entbrannte, welches Werk in der aktuellen Lage bevorzugt zu erlernen sei: Der erste Satz der Grande Sonate pathéthique oder die Etude in E Dur Op.10 No. 3. Beethoven oder Chopin, das war doch die Frage?
Das ökologische Huhn nutzte die Gelegenheit und erinnerte daran, dass die Recycling Effizienz von Aluminium im Vergleich zur Primärproduktion hervorragend sei und damit Aluminiumprodukte grundsätzlich etwas mehr Wertschätzung verdienten. Auch dann, wenn es beim Betrachten vereinzelter Objekte zu bisweilen unangenehm berührenden Spiegelungen kommen könne. Das reflektierte Huhn fügte an, dass auch Frischhaltefolien ihre Tücken hätten, obwohl man zugegebenermassen besser hindurchschauen konnte. Könnte, wenn man es wollte, ergänzte das schnöselige Huhn.
Das extrovertiert-grammatikalische Huhn setzte zu einer Hymne über das Brechen sämtlicher Regeln der indirekten Rede an, wurde aber durch den imperativ objektivierenden Blick des introvertiert-grammatikalischen Huhns umgehend zum Schweigen gebracht.
Das haushälterische Huhn, Bezug nehmend auf das ökologische Huhn, wies darauf hin, dass sorgsam mit der Anzahl gesetzter Zeichen umgegangen werden sollte. Zum jetzigen Zeitpunkt seien es, sämtliche Leerzeichen mitgerechnet, schon weit mehr als 2000. Das Huhn, welches vor ein paar Jahren einen Kurs in Kryptographie besucht hatte, gackerte alarmiert.

Das stilistisch versierte Huhn bestand darauf, dass jede Geschichte, und sei es auch nur eine Hühnergeschichte, ohne Rücksicht auf Zeichen mit einer Pointe beendet werden sollte.
So kam es, dass nach dem pointierten Huhn gerufen wurde. Es liess ausrichten, es hätte gerade keine Zeit, es sei beschäftigt. Womit genau, verriet es nicht.

 

 

(1) Luigi Malerba, Die nachdenklichen Hühner (Original: Le galline pensierose ).
(2) Henrik Kilhamn, Sonata secrets:  "Anger Management" oder "Tristesse" ? Tack så mycket.
Der fehlende Verweis auf Fussnote (2) im Text ist Gegenstand einer verhühnerten Untersuchung. Der Verlag bittet um Geduld und Verständnis.

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Upload: 09.06.2021